Als junger Mann war er einer der Initiatoren der Leipziger Friedensgebete, die in die Montagsdemonstrationen mündeten. Anlässlich von 30 Jahren Wiedervereinigung erinnert sich der Pfarrer Edgar Dusdal an seinen Berufseinstieg im Tagebau und einen ängstlichen Bischof.
Die Kirche, Evangelische Wochenzeitung für Berlin, Brandenburg, 13.9.2020
AUSZUG
Bevor Edgar Dusdal Pfarrer wird, arbeitet er als Elektromonteur im Tagebau eines Braunkohlenkombinats in der Niederlausitz. Der proletarische Beginn einer Berufsbiografie, die ins Pfarramt führt, ist in der wiedervereinigten Republik eine Seltenheit geworden. Sie erzählt von einem Land, das nicht mehr existiert. Von unangepassten Jugendlichen aus christlichen Elternhäusern, denen der direkte Zugang zum Abitur versagt bleibt. Die trotzdem ihren Weg gehen – zum Beispiel über kirchliche Hochschulen wie das Theologische Seminar in Leipzig, wo man das Abi nachholen und Pfarrer werden kann.
Heute ist Edgar Dusdal seit 17 Jahren Pastor der Paul-Gerhardt-Gemeinde in Berlin-Karlshorst. Am liebsten wäre er allerdings Archäologe geworden, sagt der 60-Jährige mit einem Schmunzeln. Die Schätze, die er heute hebt, sind eher intellektueller Natur. Wenn er unter der Amalien-Orgel predigt, die schon im Berliner Stadtschloss stand, füllen rund hundert Besucherinnen und Besucher die Bänke. Eine Frau, die regelmäßig in seinen Gottesdienst kommt, schätzt vor allem die philosophische Komponente. Dass er nicht nur aus der Bibel, sondern auch Kant und Hegel zitiere.
„Philosoph der Opposition“
Das Museum „Die runde Ecke“, das die Geschichte der Staatssicherheit in Leipzig aufgearbeitet hat, nennt ihn den damaligen „Philosophen der Opposition“. In den letzten beiden Jahren der DDR ist Dusdal Vikar in einem Vorort von Leipzig. Die Musik spielt aber in der Großstadt, wo er auch wohnt. In Leipzig hat er die Veränderungen, die zur Wende führten, nicht nur hautnah miterlebt, sondern auch mitgestaltet.
Auf Fotos aus dieser Zeit trägt Edgar Dusdal einen langen, dunklen Bart. Anfang der 80er-Jahre gründet er gemeinsam mit Freunden in Berlin-Karlshorst den Arbeitskreis Solidarische Kirche. „Heute würde man sagen, das ist die neue soziale Bewegung gewesen, die sich im Osten in Gestalt von kirchlichen Basisgruppen artikuliert hat“, erklärt er. Der Arbeitskreis vernetzt Kirchengruppen im ganzen Land, die sich für Menschenrechte oder Umweltschutz einsetzen. Und der Kreis nimmt teil an den Friedensgebeten, die ab 1986 regelmäßig montags um 17 Uhr in der Nikolaikirche stattfinden und später die berühmten Montagsdemonstrationen auslösen. „Ab Februar ’88 kamen zu jedem Friedensgebet zwischen 800 bis zu 1200 Personen“, erinnert sich Dusdal bewegt. Die Menschen kommen nicht nur aus Leipzig, sondern auch aus Dresden, Plauen und Zwickau. Und am Schluss reicht die Kirche nicht mehr und sie füllen die Straßen und den ganzen Opernplatz.
Aber es gibt nicht nur vonseiten des Staates, sondern auch von der Kirchenleitung massive Kritik an den Treffen. Der damalige Bischof Hempel kommt regelmäßig vom Landeskirchenamt aus Dresden nach Leipzig, um den Veranstaltern die Leviten zu lesen. „Ich erinnere mich, dass Hempel sagte: Also man kann sich nicht vorne hinstellen und sagen: ‚In der DDR ist alles Scheiße!‘, ein Amen hinten anfügen und meinen, es sei dann ein Friedensgebet gewesen. Ihm fehle die Hoffnung und Verheißung des Glaubens“, erzählt Dusdal und lacht.
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