An einem Herbsttag mache ich mich zum ersten Mal auf den Weg in ein Hospiz. Als ich durch das raschelnde Laub laufe, riecht es nach Vergänglichkeit. Mich interessiert vor allem: Wer sind die ehrenamtlichen Sterbebegleiter? Was ist ihre Motivation? Woher nehmen sie ihre Kraft?
Rundfunk Berlin Brandenburg, 17.11.2013
AUSZUG
Meine erste Station ist das Christophorus Hospiz im Krankenhaus Havelhöhe am Rand von Berlin. Hier erwartet mich Anette Cordes, die als eine von 20 Ehrenamtlichen einmal wöchentlich ihren Dienst tut:
„Wir sind mit dem Hospiz im zweiten Stock in einem Haus, was in den beiden unteren Stockwerken vom Krankenhaus genutzt wird. Ganz unten ist die Geburtshilfestation und hier oben im zweiten Stock ist das Hospiz und viele Bewohner erleben es als ganz angenehm: Da ist das Kommen und das Gehen in einem Haus.“
Wir treffen uns an der Rezeption, die auch der Empfang eines Hotels sein könnte. Auf dem Tresen stehen Blumen und Gemälde. Die Wände sind in einem warmen Ton gehalten. Wäre da nicht das dicke aufgeschlagene Buch – ein Totenbuch, liebevoll mit Fotos, Zeichnungen und Abschiedsbriefen der Angehörigen gestaltet. Anette Cordes lädt mich zu einer Führung durch das Hospiz ein, das sich als ein erstaunlich lebendiger Ort erweist:
Stimmen auf dem Flur, Schritte, Geschirrgeklapper … „Also hier haben wir unsere Speise- und Wohnzimmer. Gleich angrenzend auch an die Küche. Wer hier essen möchte, kann hier essen, wer im Zimmer essen möchte, isst im Zimmer. Wer selber was kochen möchte oder sich was kochen lassen möchte, kann dies hier auch tun. Alle Tische sind geschmückt mit Blumen (6:29) … (6:32) Dann haben wir Bücher, Spiele, es ist ein Klavier hier im Raum und eine große Glastür, die angrenzend ist zur Küche und in der Küche – man hört’s, da wird grad geklappert und was vorbereitet.“
Anette Cordes zeigt mir dann einen Raum der Stille und das Gästezimmer – und führt mich schließlich zum Aufbahrungsraum. Aber dort können wir gerade nicht eintreten.
Anette Cordes: „In der Aufbahrung ist im Moment ein Angehöriger drin, hab ich gesehen, der sich von seiner Frau, die ist heute Nacht um zwei Uhr gestorben, verabschiedet.(…) Ich denke, da er sich jetzt selber von seiner Frau verabschiedet, ist es gut, wenn wir das jetzt nicht anschauen!“
Wie es im Christophorus Hospiz üblich ist, brennt vor der Zimmertür der Verstorbenen eine Kerze. Ich frage Anette Cordes: Gibt es so etwas wie die richtige Sterbegleitung?
Anette Cordes: „Was ich immer wieder erlebe, ist: Sterbende haben einfach nachlassende Kräfte. Ich würde sagen, auch die Hülle, die Robustheit eines Menschen lässt sehr stark nach. Das heißt, der Einfluss von den Umgebenden geht ziemlich direkt in den Kern von jemand. Und insofern ist ganz viel Behutsamkeit, Achtsamkeit erforderlich, damit nicht einem Sterbenden etwas aufgedrängt wird, was er in dem Moment zwar den anderen zuliebe tut oder weil er sich gegen den Einfluss nicht wehren kann, sondern weil es seiner inneren Bewegung entspricht und seinem inneren Wunsch.“
Heute steht im Christophorus Hospiz Musik auf dem Programm. Musiktherapeutin Carola Fausch testet die Resonanz der Klangschalen. Sie hat die Mitte des Gemeinschaftsraums mit einer Rose und Herbstblättern geschmückt. Wir sind nur eine kleine Gruppe: Als einzige Patientin ist Frau Z. mit ihrer Patentochter gekommen. Frau Z. lebt seit drei Monaten mit einer schweren Krebserkrankung im Hospiz. Ich fühle mich gut aufgehoben in diesem Kreis. Das mulmige Gefühl vom Anfang ist verschwunden. Neben den Klangschalen hat Carola Fausch für jede eine kleine Harfe mitgebracht:
Lachen … „Ich zeige noch einmal, wie man das Instrument hält. Man nimmt es in die linke Hand. Dann hat man die rechte Hand und den rechten Arm frei und kann einfach so über die Seiten streichen … (Harfenklang) … Einfach mal ein bisschen ausprobieren und mit der Fingerbeere spielen … (Harfenklang) … Probiert mal jeden Finger aus … alle Finger hintereinander.“
Carola Fausch glaubt, dass das wöchentliche gemeinsame Singen und Musizieren gut ist für die Atmosphäre im Hospiz. Ihre Haupttätigkeit besteht aber in den Einzeltherapien. Auch am Bett der sterbenden Patienten setzt sie die kleine Harfe ein:
„Sie beginnen zu träumen in der Nacht und auch am Tage und man kann das unterstützen mit dieser Musik. Es ist ein bisschen eine Brücke in das Traumland. (…) Die meisten Patienten fühlen sich sehr wohl bei der Musik, sie können entspannen, sie können loslassen, sie können weinen. Oftmals beginnen die Patienten zu weinen, das ist ein lösendes Weinen, oder sie werden auch angeregt zu sprechen.“
Die Feierabend-Schwestern – Evangelische Diakonissen in Bremen (Deutschlandfunk Kultur, 2020)