Regierungstreue Militärs, die mit dem Wort flottieren? Stasi-Spitzel, die in ihrer Freizeit Versmaße durchdeklinieren? Im DDR-Elite-Wachregiment Feliks Dzierzynski, Teil des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), gab es sie: im „Zirkel Schreibender Tschekisten“. Ein Feature über doppelbödige Stasi-Prosa.
Westdeutscher Rundfunk, 9.11.2006, 55:00 min.
AUSZUG
Der Dichter Uwe Berger sollte die ungelenken Entwürfe der „Schreibenden Tschekisten“ auf Linie bringen. Dass er die politische Gesinnung derer, die ohnehin beim MfS arbeiteten, als Inoffizieller Mitarbeiter einem Führungsoffizier meldete, der wiederum über Berger selbst Berichte verfasste, lässt sich in den Akten der Birthler-Behörde als doppelbödige Stasi-Prosa nachlesen. „Jeder Satellit hat einen Killersatelliten“ (Sascha Anderson).
Kundschafterlied
(Euer Dienst ist die Aufklärung)
Komposition: unbekannt (aus der Sowjetunion)
Text: unbekannt (dt. Nachdichtung: Markus Wolf)
Chorgesang
Euer Dienst ist die Aufklärung,
Namen bleiben geheim,
Unauffällig die Leistungen
Stets im Blickfeld der Feind
Das Gespräch mit Genossen
Viel zu selten daheim
Für das Tragen der Orden
Bleibt oft nicht mehr die Zeit
Refrain:
Wachsam sein immerzu und das Herz ohne Ruh
Auch in friedlicher Zeit nie geschont
Tschekisten – Beschützer des Friedens der Menschen
Soldaten der unsichtbaren Front
(Quelle: CD: Die Partei hat immer recht – Eine Dokumentation in Liedern)
Berger: „Die Konzeption war ja, dass man das Land und seine Herrschaft feiert.“
Underground-Cassette: „Virarum, virarum, Triumphera!“ / Papenfuß, Ruf: „Is gut hier!“
Dr. Braun, Literaturexperte Birthler-Behörde: „Man kann sich darunter vorstellen, dass das ein Zirkel ist von jungen Männern, die in einer ganz konkreten Organisation sich befinden, das ist also das Ministerium für Staatssicherheit und die dort versuchen, ein bisschen Kulturarbeit zu machen. Da gab es innerhalb des Ministeriums für Staatssicherheit verschiedene Zirkel für Kulturarbeit: Schreibende Tschekisten, Filmende Tschekisten, Singende Tschekisten. Tschekisten nannten sich diese Leute deshalb, weil ihr großes Vorbild die Tscheka gewesen ist, das ist die erste Geheimpolizei in Sowjetrussland gewesen mit ihrem legendären Gründer Feliks Erdmundovich Dzierzynski und Tscheka ist die Übersetzung für die russische damalige Bezeichnung.“
Auszug Song „Artig“ von Feeling B: „Wir wollen immer artig sein, denn nur so hat man uns gerne. Jeder lebt sein Leben ganz allein und abends scheinen die Sterne …“
Quelle: CD Die DT 64-Story Vol. 7 Pa-Rock-Tikum
Dichter Uwe Berger, Leiter des Zirkels und so genannter IM Experte: „Es war schwierig, denn dieser ganze Zirkel war auch ein bisschen naja Krampf. Und diesen Krampf aufzulösen, war mein Ziel. Weil das so ein starrer Rahmen war, der gegeben wurde. Schild und Schwert zu sein, Dzierzynski, der Name Tschekisten, das waren so die äußeren Eckpunkte und da musste man, wenn man da was dagegen machen wollte, sehr behutsam reinführen. Wenn man diese Grenzen durchbrechen wollte.“
Gerd K.
Lied der Tschekisten
Es waren Dzierzynskis Genossen
Im siebzehner Jahr, nach dem Sieg –
Die erklärten den Feinden entschlossen
Und im Namen des Volkes den Krieg.
Wir sichern die Revolution,
Den Frieden und unseren Staat.
In tschekistischer Tradition
Stehen wir mit unserer Tat.
Wir stehen im Kampf, wir Tschekisten,
Weil der Feind nach der Weltherrschaft strebt.
Wir zwingen die Kapitalisten
Zum Frieden – die Tscheka, sie lebt.
Refrain:
Was des Volkes Hände schaffen
Ist den Schutz des Volkes wert,
Die Partei gab uns die Waffen –
Schild und Schwert.
Der Dichter Uwe Berger, der dem Zirkel Schreibender Tschekisten von 1982 bis zur Wende als so genannter IME, Inoffizieller Mitarbeiter Experte, mit dem Decknamen Uwe, vorstand: „Ich wusste, einige arbeiten im Apparat, so hieß das, eine Frau kam aus der Küche (schmunzelt) und andere hatten irgendwelche technischen Dienste. Es war ja ein Staat im Staate. Das unterlag der Geheimhaltung, da wurde nicht danach gefragt. Ich hab einmal den Pönig nach seinem Rang gefragt. Er hat ihn mir nicht verraten. War ne eigenartige Atmosphäre, zwielichtig und nicht ganz geheuer im Zirkel und drumherum. Aber ich hatte Ansehen und man war froh, dass ich kam – einmal im Monat.“
My Story on BBC – Meine Erinnerungen an den Mauerfall 1989 (BBC, 2018)
Der Guardian-Journalist Philip Oltermann recherchierte für sein Buch „The Stasi Poetry Circle – The Creative Writing Class that Tried to Win the Cold War“ (Faber & Faber, London 2022) mit meiner Reportage von 2006