Beginenhöfe erleben in Deutschland einen Boom. Die Initiatorinnen berufen sich auf eine 900 Jahre alte Bewegung. Singlefrauen, allein erziehende Mütter und Witwen wollen einander im Alltag unterstützen und ein Zeichen gegen die Einsamkeit in der Gesellschaft setzen. Ein Besuch in den Beginenhöfen Essen, Unna und Tübingen.
(zusammen mit Cornelia Sturm)
Südwestrundfunk, 24.7.2012 (Wiederholung von Ursendung 5.5.2011), 55:00 min.
AUSZUG
Sibylle Heimann vom Beginenhof in Unna (NRW): „Von den Essenerinnen bekamen wir zur Einweihung eine Esche geschenkt, die wir dann hier eingepflanzt haben. Und als die Essenerinnen dann uns eingeladen haben zur Einweihungsfeier haben wir denen ein Apfelbäumchen mitgebracht, was sie dann in ihrem Hof eingepflanzt haben. Und das ist so auch ein bisschen zur Tradition geworden, dass die Beginen den anderen Beginen zur Einweihung Bäume mitbringen, als Erinnerung, dass es also auch andere Beginenhöfe gibt.“
Vor 900 Jahren waren die Beginen in ganz Europa verbreitet und wussten voneinander. Einige Frauen waren als sogenannte Wanderbeginen unterwegs – lehrten und predigten. Auch ihre Nachfolgerinnen heute sind gut vernetzt. 2004 wurde der Dachverband der Beginen e.V. gegründet, der sich mit der Geschichte der Beginen befasst und bundesweite Treffen der verschiedenen Wohnprojekte koordiniert. Für Sibylle Heimann, Architektin und Mitbegründerin des Beginenhofes in Unna, war im Vorfeld gerade das vorhandene Netzwerk wichtig:
„Andere Wohnprojekte sind mehr oder weniger eine Sackgasse. Da ist das Wohnprojekt für sich in der Stadt und da gibt es keine Verbindung zu anderen Wohnprojekten. Und bei den Beginen-Wohnprojekten gab es ja schon ein kleines Netzwerk. Wir sind ja alle ähnlich strukturiert und wir haben ja alle auch die gleichen Probleme und die gleichen Vorzüge, dass wir uns gegenseitig weiterhelfen können. Das ist für mich auch so der Anstoß gewesen, dass ich gesagt habe: ein Beginenprojekt! Ich möchte kein Projekt in der Sackgasse sein.“
Während der Bau- und Planungsphase haben sich die Frauen in Unna immer wieder Unterstützung und Rat von den Bewohnerinnen des nahe gelegenen Beginenhofes in Schwerte geholt, umgekehrt haben sie den Essenerinnen damals den Kontakt zu deren Investor verschafft.
Eine orange-gelbe Fahne als Erkennungszeichen
Auch das dreistöckige Haus in Unna hat ein Investor finanziert. Es wurde extra für das Projekt geplant und gebaut. Beginenhof Unna steht in kräftigen blauen Lettern auf dem roten Fahrstuhlschacht geschrieben. Jede Frau bewohnt eine kleine Wohnung, luftige Laubengänge mit fröhlichen, bunten Geländern verbinden die Eingänge und laden zu Begegnung ein. [OC: 19 Frauen leben hier mit 7 Kindern. Wenn sie sich wie heute in der Gemeinschaftswohnung zum „Beginen-Sonntag“ treffen, dient eine orange-gelbe Fahne an der Tür als Erkennungszeichen.
Gisela Hagemeier: „Wenn die da hängt, dann heißt das für die anderen, die alle vom Laubengang gucken können, und dann könnte man sich aufraffen und auch hingehen. (lacht) (7:08) [Frage raus] (7:10) Das ist einfach ’n Stück Stoff, die haben wir so zusammengenäht und einfach symbolisch da immer hingeknotet. Die hängt auf der Garderobe und wenn einer in der Wohnung ein bisschen einsam ist, Langeweile hat oder irgendwas unternehmen möchte, geht er runter, hängt die Frau die Fahne da hin, und dann wissen die Frauen Bescheid, irgendwas soll hier passieren!“
In Unna leben neben jüngeren Müttern mit ihren Kindern vor allem Frauen über 50. Sie wollen sich auch in der dritten Lebensphase weiterentwickeln: ihre Individualität entfalten und mit Gleichgesinnten in einer Gemeinschaften leben, um nicht einsam alt zu werden – und auch um ihre erwachsenen Kinder zu entlasten.
„Guten Morgen! Guten Morgen Karin! Wie geht’s Dir denn? Antwort: Na, halb und halb – Wiltrud: Wollte schon nach dir gucken!“
Sibylle Heimann: „Die Fürsorge füreinander, das Aufeinanderachten, dass also jetzt keine Frau drei oder vier Tage nicht gesehen wird, das gibt’s hier gar nicht. Aber dann auch wieder gucken, dass man ihr nicht zu nahe tritt. Und nicht nach vier Tagen Sturm klingelt: „Und jetzt komm raus hier. Du musst hier Gemeinschaft leben!“. Das sehen wir schon als beginisch an. Also dieses Draufachten!“
Frühjahrsputz im Beginenhof in Essen
Vier Frauen hieven eine große Blumenschale ins Foyer. Der Boden und der großzügige Treppenaufgang mit dem kunstvoll gestalteten Glasfenster aus den zwanziger Jahren wird geputzt. Oben auf der Spieletage floriert der Kaufmannsladen der kleinsten Begine.
30 Frauen und 5 Kinder leben hier im Beginenhof in Essen. Auch in Berlin, Bremen, Dortmund, Tübingen oder Unna wohnen Frauen mit und ohne Kinder unter diesem alten Namen zusammen. Seit dem Ende der 80er-Jahre erleben die Beginengemeinschaften in Deutschland einen Boom. Man findet sie in neun Städten – weitere Projekte sind in Planung. Doch wer waren eigentlich die Namensgeberinnen, die Beginen, die gern als die „erste große Frauenbewegung des Mittelalters“ bezeichnet werden? Und was interessiert Frauen heute wieder an dieser 900 Jahre alten Idee?
Im Mittelalter gründen sich vielerorts christliche Laiengemeinschaften. In Flandern finden sich die ersten Beginen zusammen, die sich rasch über ganz Europa ausbreiten. Noch heute kann man in Brügge einen historischen Beginenhof besichtigen, der als Weltkulturerbe anerkannt ist. Rund um eine kleine Pfarrkirche stehen viele kleine Häuschen, in denen die Beginen lebten. Gemeinschaftshäuser und ein von ihnen betriebenes Krankenhaus schließen sich an.
In einigen historischen, belgischen Höfen wie Lier und Kortrijk (Ausspr.: Kortreik) begrüßt die Figur der Heiligen Begga die Besucherinnen. Einige beziehen darum die Bezeichnung Beginen auf diese Schutzpatronin. Andere führen ihn auf das Lateinische „benigna“, die „Gutherzige“, zurück oder leiten ihn von ihrer angeblich beigen Kleidung her. Brita Lieb, Mitinitiatorin eines der jüngsten Beginenprojekte, das in Bochum gerade in Planung ist, trägt dagegen einen blauen Beginenmantel.
Das Beginenversprechen
Ute Hüfken, eine der beiden Initiatorinnen des Beginenhofes in Essen, hat einen kirchlichen Hintergrund. Die Pfarrersfrau stieß in der evangelischen Gruppe „Frauenkirche“ auf die Beginen. Bei der Entstehung ihres Wohnprojektes in Essen war es für sie wichtig, über eine gemeinsame Spiritualität nachzudenken. In Anlehnung an die mittelalterlichen Vorgängerinnen entwickelten die zukünftigen Bewohnerinnen schon in der Gründungsphase des Projektes die Idee eines Beginenversprechens, das allerdings weniger auf den Glauben als auf die solidarisch gelebte Gemeinschaft zielt.
Ute Hüfken: „Das Beginenversprechen ist kein Gelübde. Es kann ja jede hier machen, was sie will, und sie kann einen Freund haben und sie kann heiraten, nur wenn sie mit ihm zusammenleben will, kann sie hier nicht wohnen. Das ist ein Versprechen, das ist völlig harmlos eigentlich. Das beinhaltet nur, dass ich mir bewusst bin, wenn ich hier einziehe in dieses Haus, dass ich hier wirklich die Gemeinschaft möchte, dass es auch Pflichten beinhaltet, denn wir haben sehr viele Veranstaltungen hier im Haus, da muss immer geräumt, eingeräumt, ausgeräumt, geputzt, Kaffee gekocht werden, da muss sich jede beteiligen und dass ich, wie kann man da sagen.“
Renate Schröer: „Also ich denke dieser Gedanke: das, was ich kann, was meine Fähigkeit ist, bring ich hier ein, dass alle das haben, dass alle davon profitieren.“
Ute Hüfken: „Und alle haben Fähigkeiten!“
Renate Schröer: „… und es kann hier keine Frau einziehen, die hier wohnen will wie ’schöner wohnen‘ oder „jetzt mach ich’s mir mal gemütlich.“