Der letzte Berliner Salonièr – Zum 100. Geburtstag von Nicolaus Sombart

Der Berliner Schriftsteller und Salon-Betreiber Nicolaus Sombart (1923 – 2008) wäre 2023 Hundert Jahre alt geworden. Ich habe ihn einst für mein Buch „Die Renaissance der Berliner Salons“ in seiner Wohnung befragt, in der er zwei Jahrzehnte Salon gehalten hat. Meine Erinnerungen daran finden sich im Jubiläumsband „Große Gegenwart“.

AUSZUG

Der Versuch, von einer jungen Künstlerin bei ihm vorgestellt zu werden, scheiterte kläglich. Die Depesche mit der Bitte um ein Gespräch blieb ohne Antwort. Die Interventionen verschiedener Menschen, die die Gunst seiner Bekanntschaft genießen, waren erfolglos. Seit Invasionen von Leuten über Salons schreiben, wurde mir zugetragen, sei Sombart es müde, immer wieder über seine Geselligkeit Auskunft zu geben. Nachdem jemand mal kurzberockte Philosophie-Studentinnen in einem Artikel erwähnt habe, möge er nicht mehr, dass in diesem despektierlichen Ton über seine „Teegesellschaft“ berichtet wird.

Salonière und Literaturmanagerin - Britta Gansebohm in ihrem Berliner Literatursalon 1999
Salonière und Literaturmanagerin – Britta Gansebohm in ihrem Berliner Literatursalon 1999

In den literarischen Salons von Carolin Fischer oder Britta Gansebohm werde ich damals immer wieder gefragt: „Sind Sie denn schon bei Sombart gewesen?“ Mitleidige Blicke treffen mich, wenn ich verneine. Die Gesprächspartnerinnen und -partner lassen mich spüren, dass ich die höheren Salon-Weihen noch nicht empfangen habe. Viele, die einmal sonntags zum Fünf-Uhr-Tee bei ihm waren, sind überzeugt, dass er den letzten echten Berliner Salon betreibt.

Cover des Buches "Große Gegenwart - Zur Erinnerung an Nicolaus Sombart (1923–2008)" (Copyright: Harrowitz Verlag)
Den vollständigen Text kann man in „Große Gegenwart – Zur Erinnerung an Nicolaus Sombart“ nachlesen (Copyright: Harrassowitz Verlag, 2024)

In diesen und anderen Salons trifft man auch Stammgäste von Sombart. In solchen Momenten kann einem Berlin wie eine einzige große Salongesellschaft erscheinen. Aus den flüchtig hingeworfenen Bemerkungen seiner Habituès kristallisiert sich ein erstes Bild der Sombartschen Geselligkeit heraus.

Seine Wohnung hat etwas Künstlerisch-Bohemehaftes und etwas Türkisch-Orientalisches. Auf einem Diwan liegt ein Kelim und auf dem Teetisch liegt eine Kaschmirdecke mit feinem Paisley-Muster.

Salon-Besucherin

Eine Theaterschauspielerin erzählt, dass das Salon-Publikum bei Sombart aus Wissenschaftlern, Schriftstellern, Künstlern, Intendanten und Regisseuren bestehe. An manchen Sonntagen seien es zehn, an anderen fünfzig Besucher, und der gemeinsame Nenner sei immer die Literatur. Sie beschreibt die Salon-Räumlichkeiten in schillernden Farben: „Seine Wohnung hat etwas Künstlerisch-Bohemehaftes und etwas Türkisch-Orientalisches. Das Wohnzimmer ist ein großer Doppelraum. Im ersten Zimmer stehen sich zwei rote Samtsofas gegenüber. Auf einem Diwan liegt ein Kelim und auf dem Teetisch liegt eine Kaschmirdecke mit feinem Paisley-Muster.“ Es gebe rote Kerzen, die der Gastgeber selbst entzündet. Das Zimmer habe billardgrüne Wände, zwei Marmorsäulen, gobelinbehangene Sessel und Couches – alles wäre sehr exklusiv.

Die Zimmer sind immer makellos mit Blumen ausgestattet. Sombart liebt Lilien. Er achtet sehr genau darauf, wie sich die Gäste mit diesen Lilien arrangieren. Wer sie beim Hinausgehen achtlos streift, hat in seinen Augen verloren.

Salon-Besucher

(…)

Schließlich, als ich längst den Glauben daran verloren habe, kommt es doch noch zu einem persönlichen Treffen mit Nicolaus Sombart. Verschiedene Habituès haben ihm von meinem Salon-Buch erzählt. Neugierig geworden, ist er plötzlich doch bereit, mich für eine Stunde zu empfangen. Am Tag des Treffens vertiefte ich mich noch einmal in seine Bücher, die autobiografischen Schriften über seine „Jugend in Berlin“ und die „Pariser Lehrjahre“. Durch das reden, nachdenken und die Lektüre von und über ihn und seine geheimnisvolle „Teegesellschaft“ ist er für mich zu einer Art Mythos geworden. Die Begegnung mit einem realen Menschen ist kaum noch vorstellbar.

Ein Salon braucht als Mittelpunkt eine Frau, die rivalisierende konkurrierende Männer zusammenführt. Und da ich keine Dame bin, habe ich auch keinen Salon. Das ist eine Sache, die mir angedichtet wird.

Nicolaus Sombart

(…)

Die Weinflasche ist halb ausgetrunken. Sombart deutet auf die Balkon-Geranien, die in der Abendsonne rot aufleuchten. Zu meiner Überraschung steht schon die nächste Besucherin in der Tür, meine Privat-Audienz ist zu Ende. Zum Abschluss sucht Sombart im Bibliothekszimmer, in dem seine Manuskripte in großen staubigen Stapeln übereinanderliegen, noch einen Essay unter dem Titel „Salongedanken“ heraus, den er für Yvonne Helmbold 1997 vom Grünen Salon geschrieben und dort als Vortrag gehalten hat.

Jeder Salon ist ein Zipfel des Paradieses auf Erden.

Nicolaus Sombart

Zu Hause finde ich in diesem Text als eine kleine Perle vielleicht den schönsten Sombartschen „Salongedanken“: „Der Salon gehört in die Ordnung des Außeralltäglichen, des Festes – nicht der kultischen Feier, des Festmahls, der Party, der Orgie – sondern des Spiels. Er war immer ein Ort, an dem die Utopie eines idealen Lebens ihre Verwirklichung gesucht und sehr oft gefunden hat. Jeder Salon ist ein Zipfel des Paradieses auf Erden.

Textauszug aus meinem Buch „Das gesellige Canapé – Die Renaissance der Berliner Salons“, Berlin 1999, Ullstein

Neuerscheinung 2024: „Große Gegenwart – Erinnerungen an Nicolaus Sombart (1923 – 2008)“, Hrsg. Peter Gostmann und Gerhard Wagner, Wiesbaden, Harrassowitz Verlag, mit meinem Beitrag „Der letzte Berliner Salonièr“ und der Erstveröffentlichung seiner „Salongedanken“ von 1997 aus meinem Archiv

Peter Gostmann und Gerhard Wagner (Hrsg.), Große Gegenwart - Zur Erinnerung an Nicolaus Sombart, Harrossowitz Verlag, Wiesbaden, 2023
Peter Gostmann und Gerhard Wagner (Hrsg.), Große Gegenwart – Zur Erinnerung an Nicolaus Sombart, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden, 2023

Die Biografie „Nicolaus Sombart – Utopist, Libertin, Dandy“ von Günter Erbe erschien 2023 im Böhlau Verlag, Wien und Köln. Im Kapitel „Der Herr bittet zum Tee“ zitiert der Autor aus meinem obengenannten Buch.

Günter Erbe: Nicolaus Sombart – Utopist, Libertin, Dandy, Böhlau Verlag, Wien, Köln 2023
Günter Erbe: Nicolaus Sombart – Utopist, Libertin, Dandy, Böhlau Verlag, Wien, Köln 2023

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