Das Bauhaus feiert 2019 sein 100-jähriges Bestehen. Die Architektur-Revolution prägte auch sakrale Bauten. Ausgerechnet der damalige Berliner Bischof boykottierte nach der Einweihung der Martinus-Kirche in Berlin-Tegel 1963 ihr Gestaltungsprinzip „Licht – Öffnung – Transparenz“.
Die Kirche, Evangelische Wochenzeitung für Berlin, Brandenburg, 5.5.2019
AUSZUG
Manchmal fragen ihn die Konfirmanden, warum die Martinus-Kirche nicht fertig gebaut wurde, sagt Jean-Otto Domanski und lacht. Er ist seit gut 20 Jahren Pfarrer der Gemeinde und zeigt stolz die Räume des modernen Gotteshauses in Tegel-Süd, das 1963 nach Entwürfen eines Bauhaus-Schülers eingeweiht wurde. Es steht heute unter Denkmalschutz. Deutlich erkennt man die Tradition der Schule: ein rechteckiger Grundriss des Kirchenraums mit unverputzten Klinkersteinen an den Wänden, ein schnörkelloser Altar, ein schlichtes Taufbecken. „Weniger ist mehr“ lautete das Motto von Mies van der Rohe, der einer der Bauhaus-Lehrer war. Von seinem Schüler Eduard Ludwig stammt das Luftbrückendenkmal, das seit 1951 vor dem Flughafen Tempelhof steht und das die Berliner die „Hungerkralle“ nennen. Der Architekt fertigte auch den Entwurf für diese Kirche. Doch noch bevor der Grundstein gelegt wurde, verunglückte er tödlich auf der AVUS.
Lichte Räume statt dunkler Kirchen
Vor 100 Jahren begründete Walter Gropius das Bauhaus, als er 1919 Leiter der Kunstgewerbeschule in Weimar wurde. Nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs wollten er und seine Mitstreiter über die Künste die Gesellschaft reformieren – und nichts weniger als einen neuen Menschen für eine neue Zeit. Ihre Ideen der Klarheit und Reduktion prägen bis heute Architektur und Design auf der ganzen Welt. Mit dem Machtantritt der Nazis gingen viele von ihnen in die USA ins Exil. Es war Mies van der Rohe, der dort die ersten Sakralbauten entwarf. Statt dunkler Kirchen wollte man helle, lichte Räume schaffen.
Leuchtendes Gold
Ausgerechnet der damalige Berliner Bischof Dibelius machte nach der Einweihung der Martinus-Kirche dem Prinzip „Licht – Öffnung – Transparenz“ einen Strich durch die Rechnung. Nach den Plänen von Eduard Ludwig war die Wand hinter dem Altar matt verglast worden, damit Kirchenraum und Umgebung optisch ineinander übergehen. Der Bischof monierte, dass die Gemeinde durch die Möglichkeit, die Natur zu beobachten, vom Gottesdienst abgelenkt werde. Außerdem störte ihn, dass man in einer Spieglung während des Orgelspiels „die angestrengte Arm- und Beintätigkeit des Organisten“ verfolgen konnte. Nach seiner Kritik wurde aus der transparenten Wand ein großes blaugetöntes Glasgemälde, das die Geschichte von der „Verklärung Jesu“ aus dem Matthäus-Evangelium erzählt. Liebevoll nennt Pfarrer Domanski sein Haus eine „Abendkirche“, denn dann werde ein eindrucksvolles Farbspiel sichtbar und das auf die Glasmalerei aufgetragene Gold beginne zu leuchten. Am Tag aber bewirken die blauen Glaskacheln genau das Gegenteil von dem, was die Bauhäusler wollten. Sie machen den Raum dunkel, der bis auf die in Mattglas gestaltete Eingangsfront keine Fenster hat.