Auf der Berliner Halbinsel Alt-Stralau gegenüber vom Treptower Park lädt Heinz Lindecke am Fuße der alten Dorfkirche seit gut zwei Jahren zur „Kirchturmrast“ ein. So wie ihn stellt man sich einen zeitgemäßen Salon-Gastgeber vor.
Die Kirche, Evangelische Wochenzeitung für Berlin, Brandenburg, 17.5.2020
AUSZUG
Der groß gewachsene Mittsechziger ist lebenserfahren, im richtigen Moment gesprächig oder zurückhaltend – je nachdem, wie es die Situation erfordert. Und er bäckt auch guten Kuchen.
Auf der Halbinsel Alt-Stralau lädt er am Fuße der alten Dorfkirche seit gut zwei Jahren einmal im Monat sonntagnachmittags zur „Kirchturmrast“ ein. Das Bauwerk stammt aus dem 15. Jahrhundert. Es ist das Wahrzeichen von Stralau und das älteste erhaltene Gebäude im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Draußen auf der Tunnelstraße steht dann ein Aufsteller mit der Einladung zum „Freiluftsalon“: „Einfach mal gucken, was los ist. Mit und ohne Absicht. Singen und reden. Über Gott und die Welt“, lautet das Angebot. Wenn es warm ist, erwartet die Gäste ein kleines Büffet draußen unter einem weißen Baldachin. In den Wintermonaten findet die Geselligkeit vor dem Altar statt. Es gibt Kaffee, Tee, Schmalzstullen und Kuchen gegen eine kleine Spende. Und vor allem gibt es, wer das möchte, ein gutes Gespräch.
Früher reiste er durch die Welt
Heinz Lindecke ist noch nicht lange Pensionär. In seinem früheren Leben reiste er durch die Welt und verkaufte Hafenkräne. Er war Geschäftsführer eines Maschinenbauunternehmens und zuletzt „Senior Consultant“. Das steht noch heute auf seiner Visitenkarte. Wie für die meisten Salonieren und Saloniers ist Berlin seine Wahlheimat. Er kam vor 20 Jahren aus Düsseldorf und wohnt seitdem auf Stralau. Als seine Arbeit immer weniger seinen Lebensinhalt bestimmte, war er neugierig auf die Schwestern und Brüder aus seiner Evangelischen Kirchengemeinde Boxhagen-Stralau, deren Gemeindekirchenratsvorsitzender er ist.
Vorbild „Torte im Park“
Er wollte alle Mitglieder kennenlernen, die auf der schönen Halbinsel mit Blick auf den Treptower Park leben, und kündigte sich für einen Besuch an. Dies habe nicht besonders gut funktioniert, gibt er lachend zu. Dann las er vom Stuttgarter Projekt „Torte im Park“ und ihm kam die Idee für die „Kirchturmrast“.
Bis zu einhundert Menschen kommen nach Auskunft von Heinz Lindecke zu den monatlichen Treffen. Es sind Gemeindemitglieder, Spaziergängerinnen oder Friedhofsbesucher. Als Salon-Gastgeber möchte er sich mit seinen Besucherinnen und Besuchern auch über den christlichen Glauben austauschen, erklärt Lindecke. Er nutze die Begegnungen für die „offene Mission“ und rede auch gern mit Menschen, die nicht mehr in der Kirche sind. Genauso könne man auch kommen, um einfach nur einen Kaffee zu trinken, betont er. Da hinter der Kirche ein Friedhof liegt, werde er häufig mit den Themen Sterben und Tod konfrontiert, das habe er anfangs nicht erwartet.
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Derzeit muss auch seine Geselligkeit wegen der Corona-Krise eine Zwangspause einlegen. Heinz Lindecke hofft darauf, bald die Freiluftsalon-Saison eröffnen zu können.