Im Berlin-Kreuzberger Beginenhof haben Frauen im Alter zwischen 30 und 90 Jahren eine eigene Wohnung und ein neues Zuhause gefunden. Die Initiatorin des Projekts betont die weltanschauliche Vielfalt, die vom Christentum über den Buddhismus bis zum Islam reicht.
Rundfunk Berlin Brandenburg, 11.12.2011, 10:00 min.
AUSZUG
Imposant liegt der Neubau des Beginenhofes in der Nähe des Landwehrkanals in Berlin-Kreuzberg. Farbige Fenster schmücken die Fassade. An einem Balkon verkündet ein gelbes Transparent „Atomkraft – Nein danke!“ Seit dem Bezug im Jahr 2007 haben hier 53 Frauen im Alter zwischen 34 und 91 Jahren eine eigene Wohnung und ein neues Zuhause gefunden. Stolz zeigt Jutta Kämper, die Initiatorin des Projekts, das Herz des Hauses:
Jutta Kämper: „Wir nennen unseren Gemeinschaftsraum Salon. (schmunzelt) Ja, das ist eine weibliche Tradition und Gemeinschaftsraum ist ein bisschen sperrig. Salon passt irgendwie.“
In dem 60 qm großen Raum mit hellem Holzfußboden finden die monatlichen Hausversammlungen unter dem Namen Jour fixe statt. Im Salon wird auch Körperarbeit wie Qui Gong betrieben. [Musik ausblenden] Zu festen Terminen trifft sich hier die Literatur- und die Theatergruppe, die Koch- und die Gartengruppe. Bei einem Stammtisch werden auch politische Themen diskutiert:
Jutta Kämper: „Beim letzten politischen Thema ging es um die Finanzkrise und beim nächsten Mal wird auf der Agenda stehen: Organspende. Es ist mehr so, dass Bewohnerinnen das vortragen. Die Bewohnerinnen bringen ja auch ihre Erfahrungen aus ihrem Beruf mit, aus ihrem Leben, und da kommt eben sehr viel zusammen.“
Unkonventionell mit Kapuzenjacke und Jeans bekleidet, die grauen Haare kurz geschnitten, sieht man Jutta Kämper ihre 78 Jahre nicht an. Gemeinsam mit anderen feministisch engagierten Frauen trieb die Sozialplanerin im Verein Beginenwerk über zehn Jahre die gemeinsame Wohnstätte für Frauen voran. Erst mit einem ausländischen Investor wurde das Projekt Wirklichkeit erklärt sie auf dem begrünten Hof des Beginenhauses in Kreuzberg.
„Das ist ein holländischer Investor und der war sofort davon angetan, dass unser Verein Beginenwerk hieß. Weil natürlich in Holland da gibt es ja noch diese alten, wunderbaren Anlagen aus dem Mittelalter, und das hat ihn so angesprochen – unter anderem natürlich.“
In den Niederlanden und Belgien kann man noch heute historische Beginenhöfe besichtigen. Zumeist umrahmen mehrere flache Häuser einen grünen Hof mit einer Kirche. Nicht nur wegen der Architektur erkannte die Unesco zum Beispiel den Beginenhof in Brügge als Weltkulturerbe an. Das Besondere an der religiösen Laiengemeinschaft der Beginen war, dass sie schon im Mittelalter ihre Meisterin durch eine geheime demokratische Wahl bestimmte.
Außer der demokratischen Wahl ihrer Vorsteherin und der Ausübung eines Berufes waren die historischen Beginen anders als Nonnen nur durch ein zeitliches Gelübde an den Hof gebunden. Nach Ablauf der Frist waren sie frei zu gehen und konnten auch ihr Hab und Gut mitnehmen. In der Berufstätigkeit und dem eigenen Besitz sieht Jutta Kämper eine Parallele zu den Bewohnerinnen im Berliner Beginenhof:
„Auffallend ist schon, dass so gut wie alle Frauen, ja wirklich alle Frauen haben einen Beruf gehabt. Und das ist ja nicht so selbstverständlich für die Frauen in meiner Generation. Aber alle waren berufstätig und ich denke, das liegt auch daran, dass wir Eigentumswohnungen sind, dass auch diese Altersgruppe alle einen Beruf ausgeübt hat.“
Nach der Wiedervereinigung und dem Wegfall von Westberliner Fördergeldern im sozialen Wohnungsbau sei ein Projekt von dieser Größe – Wohnungen für rund 50 Frauen in zwei zu diesem Zweck erbauten Häusern – nur in der Form von Eigentum zu verwirklichen gewesen, sagt Kämper bedauernd. In der Mehrzahl sind die Bewohnerinnen Akademikerinnen in der so genannten dritten Lebensphase. Eine von ihnen ist die pensionierte Lehrerin Margarete Köhler. Die Mittsechzigerin zog nach einer Ehescheidung vor drei Jahren aus Fulda direkt ins Kreuzberger Beginenhaus:
„Das Schöne für mich ist, dass ich sehr einfach Kontakt habe, wenn ich Kontakt haben will. Also es hat keine Vorlaufzeit – man ruft einfach an oder klingelt und dann ist da schon jemand, man hat eine Riesenauswahl von Frauen, das finde ich sehr schön, es ist unkompliziert, es ist aber auch viel Schwieriges hier.“
Jede müsse für sich selbst entscheiden können, wie viel Gemeinschaft sie leben möchte, findet Köhler.