Abschied von der „Blumen-Jette“

Ein Neuköllner Urgestein gibt ihr Blumengeschäft auf. Jahrzehntelang hat Angelika Horn Stammkunden, Laufkundschaft und die Kirchen des Kiezes mit Blumenschmuck ausgestattet – zu Hochzeiten, Taufen und Trauerfeiern.

Die „Blumen-Jette“ alias Angelika Horn ist ein Original, eine Neuköllner Instanz und ein Kiez-Urgestein. „Ich liebe meinen Beruf und bin stolz darauf, dass ich hier bekannt bin wie ein bunter Hund“, sagt sie. Im September 2023 hat sie ihren Schlüssel zum letzten Mal in der Karl-Marx-Straße 178 zum Feierabend umgedreht. „Ich bin nicht pleite und es ist auch kein skrupelloser Vermieter daran schuld“, steht in ihrem Abschiedsbrief, der im Schaufenster hängt.

Darin ist von einer 80-Stunden-Woche die Rede. „Mein Privatleben, mein Mann und auch meine Person sind oft hinten runtergefallen“, heißt es dort weiter. Und dass der Laden nach 90 Jahren wahrscheinlich kein Blumengeschäft mehr sein wird.
Drei Mal in der Woche um fünf Uhr auf den Großmarkt fahren. Ein Laden, der sechs Tage die Woche geöffnet hat und der bis heute weder über eine Heizung noch über warmes Wasser und eine Toilette verfügt, sind Arbeitsbedingungen, die Angelika Horn zwischen all den bunten und duftenden Blumen in den letzten 30 Jahren begleitet haben.

„Ich habe mich gut gehalten! Gekühlte Ware hält sich länger! Aber ein warmer Schlüpper und ein Unterhemd muss schon sein!“

Angelika Horn

Manifest gegen Fertigsträuße

Während wir hinten im Laden sitzen, zählt sie alle Kirchen auf, die sie zu Hochzeiten, Taufen, und Trauerfeiern beliefert hat: die katholischen St. Clara und St. Eduard, die evangelischen Magdalenen und Bethlehem, die Gotteshäuser der Baptisten und der Böhmen, mit denen sie die Herrnhuter meint.

Ihre alte Kundschaft ist inzwischen verstorben und eine neue nachgewachsen. Während unseres Gespräches wollen ausschließlich junge Leute bei ihr kaufen. „Bloß keine Rosen, am liebsten Wald und Wiese und Natur pur.“ Sie habe, betont Angelika Horn, vom Zuzug der kaufkräftigen Kundschaft nach Neukölln profitiert. Und das, obwohl oder gerade weil sie es ablehnt, Fertigsträuße anzubieten. Sie hat dazu eine Art Manifest verfasst, das gleich neben der Kasse hängt. Man könne sich mit ihrer Hilfe einen individuellen Strauß zusammenstellen, heißt es dort. Fertige Sträuße dagegen entsprechen nicht ihrem Verständnis von Frische und Qualität. Diese klare Ansage passt zu der resoluten Geschäftsfrau, die ihren Sätzen gern ein nachdrückliches „Und Punkt.“ hinterherschiebt.

Ein Stern für die "Blumen-Jette": Angelika Horn mit Neuköllner Bürgermeister Martin Hikel (SPD) beim Abschied von ihrem Ladn am 15.11.23 (Copyright: Cornelia Saxe)
Ein Stern für die „Blumen-Jette“: Angelika Horn mit Neuköllner Bürgermeister Martin Hikel in ihrem Laden (Copyright: Cornelia Saxe)

Waschechte Neuköllnerin

Angelika Horn ist am Hermannplatz aufgewachsen. Getauft und konfirmiert wurde sie gleich um die Ecke in der Nikodemuskirche. Sie hat mit Gott eine eigene Philosophie: „Wenn ich eine offene Kirche sehe, dann gehe ich rein, zünde drei Kerzen an und hänge meinen Gedanken nach.“
Die waschechte Neuköllnerin trägt ihr Herz auf der Zunge. „Ich habe manchmal eine kurze Zündschnur“, gesteht sie. „Und es gibt Momente, wo mir eine Feder wächst.“ Manchmal kann einen ihre barsche Art auch einschüchtern. Weil sie ihr Handwerk versteht, hält man am Ende immer einen schönen Strauß in der Hand und bekommt, wenn man Glück hat, dazu ein Lächeln geschenkt. Auf ihre ehrliche Weise hat sie auch die Konkurrenz überlebt: „Sogar die ‚Blume 2000‘ habe ich plattgemacht“, sagt sie und lacht.

„Ich habe manchmal eine kurze Zündschnur. Und es gibt Momente, wo mir eine Feder wächst.“

Angelika Horn


Fragt man sie nach ihren schönsten und traurigsten Erlebnissen der letzten 30 Jahre dann bekommt sie plötzlich feuchte Augen. Sie habe Kinder großwerden sehen, ebenso aber auch liebe Stammkunden mit ihrer Blumendekoration zu Grabe getragen. Umgekehrt hätten die Kunden an ihrem Leben teilgenommen und an ihren Geburtstag gedacht. Ihre älteste Kundin ist inzwischen 107 Jahre alt.

Danksagung mit Kürbissuppe

Weil sie als Mädchen Jette gerufen wurde, hat sie den Laden, den sie 1995 übernahm, die „Blumen-Jette“ genannt. Ihr Firmenlogo ist eine Mohnblume, die zu ihren Lieblingsblumen gehört. Auch wenn sie schon als Kind wusste, dass sie Floristin werden wollte, so wollte sie eigentlich nie selbstständig sein, gesteht die 62-Jährige.

Ein bisschen „Blumen-Jette“ wird nach dem Abschied noch bleiben. Mit „Jettes Blumen Werkstatt“ bietet Angelika Horn in Zukunft auf Vorbestellung gefertigte Dekorationen für Familienfeiern aller Art an. „Ich bin dann Halbtags-Rentnerin“, heißt es im Abschiedsbrief. Und Punkt. Zum Abschied gab es im leergeräumten Laden im November 2023 noch einen Abschiedsumtrunk für Geschäftspartner, Freunde, Weggefährten und Stammkunden. Auch der Neuköllner Bürgermeister schaute vorbei. Auf einem Bügel hing ein T-Shirt mit der Aufschrift „Eine Legende geht in Ruhestand“ an der Wand, das ihr Mann drucken ließ. Und es gab von ihr gekochte Kürbissuppe, die ebenfalls legendär war.

Erschienen in Die Kirche – Wochenzeitung für Berlin und Brandenburg, 8.10.2023

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