Wie klingt es, wenn Dichterinnen von heute ihren begeisterten oder kritischen Blick auf die Männer als Objekt der Begierde richten? Von Friederike Mayröcker bis Ann Cotten stellt das Hörspiel die deutschsprachigen Lyrikerinnen der Gegenwart vor, die ironisch feststellen: „Du hast keine Brüste, die ich besingen könnte.“ (Aldona Gustas)
(zusammen mit Cornelia Sturm)
Österreichischer Rundfunk, 4.6.2013 (Wdh. von Ursendung für WDR, 2010), 55:00 min.
AUSZUG
Friederike Mayröcker: „wie ich dich nenne wenn ich an dich denke und du nicht da bist“
mein Treppenfrosch
mein Lichterkranz
mein Frühlingsdieb
mein Zittergaul
meine Silberschnecke
mein Tintenfasz
mein Besenfuchs
mein Bäumefäller
mein Sturmausreiszer
mein Bärenheger
mein Zähnezeiger
mein Pferdeohr
mein Praterbaum
mein Ringelhorn
meine Affentasche
meine Winterwende
meine Artischocke
meine Mitternacht
mein Rückwärtszähler
(In: Das Geschlecht der Engel – Gedichte von Else Lasker-Schüler bis Barbara Maria Kloos, R. Piper Verlag 1992, S. 126/127)
Ulrike Draesner, Schriftstellerin aus Berlin: „Was würde ich denn machen, wenn man mir die Aufgabe gibt, eine Erzählung zu schreiben mit einem schönen Mann. Das ist richtig eine Herausforderung, dafür eine Sprache zu finden, so dass das nicht eben abkippt in diese ganzen Register, die da herumstehen: das ist nur der Schönling oder der feminine Mann oder so ein ephimäres Jüngelchen und auch nicht der Muskelprotz – also wie könnte ich die Schönheit von innen füllen. Fragezeichen.“
Nora Gomringer, Performerin und Lyrikerin aus Bamberg: „Wie sehr die Schönheit, das ist was ich feiere am Mann, also das, was man als klassische Schönheit beim Mann dann besingen könnte, das wären ja die Hände, der Hintern, die Augen, also das wären ja die klassischen Sachen, die tollen Haare und die guten Schuhe, also das hab ich nicht so. Bei mir ist es die schöne Handlung und die Schönheit des selbstverantwortlichen Handelns, das zieht mich sehr an und die Selbstbestimmung und die Schönheit des Geistes, die mir bei Männern lustigerweise viel klarer oft hervorsticht als bei Frauen.“
Regula Venske, Schriftstellerin aus Hamburg: „Inspiriert die männliche Schönheit beim Schreiben? Ja, unbedingt!“
Ann Cotten, Dichterin aus Berlin: „Es ist sogar eine Hilfe, dass weniger Klischees bereitliegen. Da ist mehr Neuland. (…) Die Frauen sind viel mehr noch mit sich selbst beschäftigt, wenn sie über Männer schreiben, als die Männer, wenn sie über Frauen schreiben.“
Kapitel 1
Zeigen der Haut und Spitze drüberlegen – Die Schönheit in Worten
Ann Cotten: „Lockn Musensohn“
Ich möcht in vollem Ernst mich auf den Boden werfen
vor seiner Schönheit. Mich in Posen werfen
langweilt mich mehr und mehr. Ich möchte schlafen,
vor seinen Augen wild und entschlossen schlafen.
Ich möchte schamlos lange ihn begaffen,
klaffenden Kinnes wütend ihn begaffen,
auch möcht ich seinem Wesen in die Falle laufen,
mit wesentlichen Fehlern den Schall durchbrechen.
(…)
Du glaubst, es ist genauso umgekehrt.
Er blickt dir scheu und bohrend ins Gesicht,
er redet dich mit großer Vorsicht an;
erstaunt, dass unversehrt
das Lachen sich vermischt
grinst er bei deinen Witzen dankbar und verschmitzt.
Bleib doch bei mir, unfertiges Gedicht,
für eine Weile, komm, ich verlasse dich
solange wir dran arbeiten, noch nicht,
bis nicht mehr fühlbar ist, wes Geistes Kind
es ist. Behalt das Wort für den Bericht,
du, nicht? Du lachst? Wir sind nicht von Gewicht.
Tränken wir meiner Witze Glänzerei in deinem Licht
und lieben uns so lange, bis wir fertig sind.
(In: Fremdwörterbuchsonette, Suhrkamp Verlag, Ffm 2007, Auszug Sonett Nr. 58)
Ulrike Draesner: „Erotik hat immer mit der Ambivalenz von Verstecken und Zeigen zu tun. Und so ist das auch mit Schönheit: vom allmählichen Enthüllen und wieder Verschwinden. Und das ist natürlich für das Schreiben selbst, ist das wunderbar, weil dann kann ich das Ganze in Bewegung setzen und kann eine Szene entwickeln.“
Ulrike Draesner „Sommergang“
Erst lammweiße Tage gehabt
julianische Stunden
malvengebüschelt das Herz
Akazienfedern im Haar
unter den Tieren des Waldes gewesen
bis lilienbefeuert die Brust
grünschattenmundig geschwelgt
geküsst Rinden und Samen
die Pfauen balzen gesehen
und schreien gehört vor Gier
am Ende hollerbeerenblau jede Hand
aus den Dornen gekommen
und tollkirschenweit
die Pupille von prächtigen
Farben des Hungers wie
zwitschernder Liebe.
(In: So hält mich die Sehnsucht – Hundert Gedichte von Frauen, hgg. von Gudrun Schury, Aufbau Verlag, Berlin 2009, S. 119)
Der Literaturwissenschaftler Winfried Menninghaus, Autor des Buches „Das Versprechen der Schönheit“: „Zunächst mal gibt es ja die Theorie, die wirklich immer mehr an Akzeptanz gewinnt, nämlich dass die Künste, insbesondere die Kunst des Singens und die Form des lyrischen Lieds, eine sehr enge Beziehung zur sexuellen Werbung unterhalten hat. Das könnte bedeuten, dass in der Tat die Schönheit des anderen Geschlechts das jeweils andere Geschlecht inspiriert hat, sich selbst werbend in einem guten Licht darzustellen. Zum Beispiel durch schönen Gesang oder eben durch schönen Tanz. Das finden Sie natürlich bei den Vögeln, die singen und tanzen und werden direkt bewertet vom anderen Geschlecht und danach gewählt. Und die Vermutung ist, dass die Ursprünge der menschlichen Künste auch in einem solchen Werbungsverhalten … das bedeutet gewissermaßen, der Kontakt mit dem anderen Geschlecht inspiriert das andere zu einer Produktion von Bewegungsformen, von Lautformen und teilweise von multimedialen Produktionen, nämlich beispielsweise Singen, Tanzen in einem. Und dann beim Menschen noch Worte dazu.“